14.10.2025 | Stefan Becker
Horizontale und vertikale Capacity Allocation in SAFe®
- Agile Organisation
- SAFe
Im Scaled Agile Framework (SAFe®) ist die Capacity Allocation ein Instrument, mit dem kurzfristiger Geschäftswert und langfristige Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden. Mit der Capacity Allocation wird die Arbeit für agile Teams, agile Release Trains, Solution Trains und sogar im Portfolio in verschiedene Kategorien unterteilt.
Balance zwischen Geschäftswert und Nachhaltigkeit
Capacity Allocation im Scaled Agile Framework (SAFe®) ist ein wesentliches Instrument, um die Balance zwischen kurzfristigem Geschäftswert und langfristiger Nachhaltigkeit sicherzustellen. Oft liegt der Fokus in agilen Organisationen sehr stark auf der Umsetzung neuer Stories, Features, Capabilities und Epics, weil diese direkt messbaren Kundennutzen erzeugen. Doch wenn technische Schulden, Architekturarbeit oder auch explorative Enabler zu wenig Aufmerksamkeit erhalten und damit in der Priorisierung der Teams, ART, Solution oder Portfolio Backlogs häufig hinten runterfallen, entsteht über kurz oder lang ein Ungleichgewicht: Innovation wird gehemmt, Systeme altern schneller, und die Flexibilität sinkt.
Kategorien der Capacity Allocation
Unter der Annahme, dass wir nicht alle Aufgaben erledigen können, wird mit Capacity Allocation die verfügbare Kapazität eines Teams, eines Agile Release Trains (ART), einer Large Solution oder im Portfolio im Vorfeld des jeweiligen Plannings gezielt auf verschiedene Kategorien von Arbeit verteilt – typischerweise folgende Kategorien (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Stories, Features, Capabilities oder Epics
- Enabler auf allen Ebenen (Exploration, Architecture, Infrastructure ans Compliance)
- Technische Verbesserungen und Abbau technischer Schulden
- Wartung
- Betriebsunterstützung
- Incident Management
Diese bewusste Steuerung sorgt dafür, dass Teams, Agile Release Trains, Solution Trains oder Portfolios nicht ausschließlich in den „Dringlichkeiten des Tagesgeschäfts“ gefangen sind, sondern ausbalanciert und sinnvoll in unterschiedliche Kategorien von Arbeit investieren können, ohne diese gegeneinander priorisieren zu müssen.
Transparenz und Governance durch Capacity Allocation
Ein klar definierter Capacity Allocation-Ansatz erhöht dabei die Transparenz, indem diese Segmentierung explizit gemacht wird und fördert die Diskussion zwischen Business und Technik bezüglich der Gesundheit des Produktes. Anstatt in jedem Planning erneut um Ressourcen zu ringen, wird ein Rahmen geschaffen, der die Priorisierung erleichtert und kontinuierliche Weiterentwicklung ermöglicht. Wichtig ist dabei, dass die gewählten Quoten in regelmäßigen Abständen überprüft und angepasst werden – denn Märkte, Technologien und Unternehmensziele und Anforderungen verändern sich in der Regel.
Richtig angewendet, macht Capacity Allocation damit den Unterschied zwischen einer reaktiven Feature-Fabrik und einer lernenden, resilienten Organisation, die nachhaltig Wert liefert.
Horizontale Capacity Allocation
Dieses Einsatzgebiet nenne ich „Horizontale Capacity Allocation“, da auf den jeweiligen Ebenen in SAFe® Kategorien von Arbeit kapazitativ strukturiert werden. Diese Vereinbarung erfolgt in der Regel durch das jeweilige Führungstrio (Content Authority, Design Authority, Way of Working):
- Team
- Content Authority: Product Owner
- Design Authority: Agiles Team
- Way of Working: Scrum Master/Team Coach
- Agile Release Train
- Content Authority: Product Management
- Design Authority: System Architect
- Way of Working: Release Train Engineer
- Solution Train
- Content Authority: Solution Management
- Design Authority: Solution Architect
- Way of Working: Solution Train Engineer
- Portfolio
- Content Authority: Solution Portfolio Management oder im Rahmen des Strategic Portfolio Review
- Design Authority: Enterprise Architect
- Way of Working: Solution Train Engineers/Release Train Engineers/Lean Agile Center of Excellence/Value Management Office
Anmerkung: Die leicht abweichende Ausprägung im Portfolio ist der Implementierung des Lean Portfolio als Funktion geschuldet.
Herausforderung: Fehlende Kapazität für strategische Initiativen
Bei mehreren meiner Kunden hatte ich in der Vergangenheit mit einer anderen Problemstellung zu kämpfen, die sich aber mit Hilfe eines modifizierten Capacity Allocation Ansatzes beheben lies.
Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben gibt es auf jeder Ebene ein Führungstrio und in diesem Führungstrio eine Rolle mit der Verantwortung Content Authority. Mit dieser Rolle ist unter anderen die Möglichkeit verknüpft, Stories, Features oder Capabilities in die jeweiligen Backlogs einzustellen:
- Team: Team Backlog
- Agile Release Train: ART Backlog
- Solution Train: Solution Backlog
Bei diesen Kunden trat mehrfach das Phänomen auf, das typischerweise aus dem Lean Portfolio strategische Initiativen gestartet werden sollten (also das jeweilige Epic samt Lean Business Case war durch das Lean Portfolio Management priorisiert und genehmigt worden). Bekanntlicherweise ist dann der nächste Schritt, die Umsetzung des Minimum Viable Product (MVP) des Epics. Die Policy, die mit diesem Schritt im Portfolio Kanban verknüpft ist lautet wie folgt: „Pull when train capacity and budget available.“
Bei diesen Kunden kam es dann zum Konflikt zwischen dem Lean Portfolio Management und den jeweils für die Content Authority verantwortlichen Rollen, da diese sinngemäß antworteten: „Sorry, wir haben leider keine Kapazität diese strategischen Initiativen (Epics mit MVP) umzusetzen, da wir umfangreich lokal priorisierte Aufgaben zu erledigen haben, die eine hohe Priorität besitzen.“
Vertikale Capacity Allocation – ein Lösungsansatz
Natürlich handelte es dabei um ein unerwünschtes Anti-Pattern, aber wie bereits erwähnt, kann in derartigen Fällen mit einem modifizierten Capaciry Allocation Ansatz Abhilfe geschaffen werden. Ich nenne diesen Ansatz „Vertikale Capacity Allocation“. Wie sieht dieser Ansatz nun aus?
Es werden hierbei – ähnlich wie bei der horizontalen Capacity Allocation – ebenfalls Kategorien von Arbeit gebildet:
- Kapazitäten für strategische Initiativen aus dem Portfolio/der Large Solution/dem Agile Release Train
- Kapazitäten für lokale Initiativen
Diese Vereinbarungen können dann nicht mehr in den jeweiligen Führungstrios getroffen werden, sondern müssen über die verschiedenen Ebenen Portfolio, Large Solution, Agile Release Train und Team hinweg verhandelt werden.
Zwei Ansätze zur vertikalen Abstimmung
Diese Verhandlung kann auf 2 Arten erfolgen:
- Kaskadierend
- Das Lean Portfolio Führungstrio verhandelt mit dem Führungstrio der Large Solution
- Die Large Solution Führungstrio verhandelt mit dem Führungstrio der Agile Release Train
- Der Agile Release Train Führungstrio verhandelt mit den Führungstrio der Teams
- Integrativ
- Die Führungstrios der Lean Portfolio, der Large Solution, der Agile Release Trains und der Teams verhandeln in einer gemeinsamen Session
Der kaskadierende Ansatz hat den Vorteil einer handhabbaren Größe der Verhandlungsrunden, ist aber aufwändig und birgt das Risiko, dass es zu Schleifen bei den Verhandlungsrunden kommen kann.
Der integrative Ansatz ist aufgrund der Menge der Teilnehmenden schwierig zu moderieren und zu fazilitieren, hat aber den Vorteil, das Schleifen in den Verhandlungsrunden werden können. Gegebenenfalls kann hier – je nach Größe des Portfolios – mit fachlich zusammenhängenden Segmenten des Portfolios gearbeitet werden, um die Größe der integrativen Verhandlungsrunde handhabbarer zu machen.
Auch hier gilt, die vertikale Capacity Allocation muss in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls aktualisiert werden. Ein guter Rhythmus orientiert sich dabei an der Frequenz des Participatory Budgeting im Portfolio, also alle 6 Monate.
Diese bewusste Steuerung mit der vertikalen Capacity Allocation sorgt dafür, dass Teams, Agile Release Trains und Solution Trains nicht ausschließlich in den „Dringlichkeiten des Tagesgeschäfts“ gefangen sind, sondern parallel in strategische, zukunftsorientierte Initiativen investieren können.
Fazit: Nachhaltige Wertschöpfung durch bewusste Kapazitätssteuerung
Sowohl horizontale als auch vertikale Capacity Allocation ist ein hilfreiches Werkzeug, um Transparenz herzustellen, Erwartungsmanagement zu betreiben, ein gesundes Produkt über den Produktlebenszyklus abzusichern, die verschiedenen Kategorien von Arbeit im System auszubalancieren, die Balance zwischen lokaler Content Authority und der Notwendigkeit der Umsetzung strategischer Initiativen sicherzustellen, erzeugt Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge, macht Limitierungen transparent. Dazu sollte die jeweilige Capacity Allocation in regelmäßigen Abständen überprüft und angepasst werden über den Produktlebenszyklus.